Den Behandlungsvorschlag von Dr. Stingl und andere Ressourcen findet ihr am Ende des Texts
Es gibt noch immer kein Medikament zur Heilung von Long-Covid und ME/CFS. LDN wirkt bei mir in manchen Bereichen symptomlindernd und deshalb möchte ich in einem persönlichen Erfahrungsbericht teilen, was ich darüber weiß.
Ich hatte schon über ein Jahr zuvor erstmals davon gehört, dachte aber, es handelt sich um eine Akutbehandlung für schwer Betroffene in Extremsituationen. Nachdem es mir niemand verschrieb, auch nicht die Ärzt:innen, bei denen ich mich darüber informierte, dachte ich, es ist nicht für mich. Bis ich an einen Neurologen geraten bin, der sich in die Thematik eingelesen hat und es mir vorschlug. Tatsächlich hat es mir einen bedeutenden Teil meines Lebens wieder zurückgegeben. Deshalb mache ich etwas, was ich mir von mir nie gedacht hätte, aber ich schreibe einen Blog-Eintrag über ein Medikament. Obwohl ich normalerweise vorsichtig mit Medikamentenempfehlungen bin, fühle ich mich bei LDN damit mittlerweile sicher. LDN ist kein Allheilmittel für Long-Covid und ME/CFS Symptome, es bekämpft auch nicht die Ursache(n) der Erkrankungen. Der positive Effekt fällt individuell unterschiedlich stark aus und es gibt auch Menschen, die nicht darauf ansprechen. Betrachtet meinen Beitrag bitte nicht als Ratschlag, sondern als Anstoß, um euch bei qualifizierten Mediziner:innen eingehend zu informieren.
Was ist LDN?
LDN ist kurz für Low-Dose Naltrexon, die Verabreichung in niedriger Dosierung des bereits 1963 zugelassenen und verschreibungspflichtigen Medikaments Naltrexon. Es muss eigens von Apotheken aus den höher dosierten handelsüblichen Tabletten extra hergestellt werden. Naltrexon ist ein Opioidantagonist, also ein Gegenspieler zu Opioiden. In hohen Dosierungen wird es für die Behandlung von Alkoholsucht und Opioid Abhängigkeit eingesetzt. Es macht nicht abhängig und ist ungefährlich. In niedriger Dosierung, also maximal ein Zehntel des Wirkstoffs, hat es jedoch einen ganz anderen Effekt. Es kann sich unter anderem bei chronischen Schmerzerkrankungen und Fatigue positiv auswirken. Das liegt an einem sogenannten Rebound-Effekt, der durch eine temporäre Blockade bestimmter Rezeptoren entsteht. Ich werde das im nächsten Absatz kurz erklären. Bitte bedenkt, dass ich keine medizinische oder pharmazeutische Ausbildung habe und nur zusammenfasse, was ich in den unten angeführten Quellen gelernt habe. Bitte lasst euch von euren behandelnden Ärzt:innen beraten. Mir hat es mein Neurologe erklärt, ich habe es aber nicht gleich verstanden und mich deshalb nochmal näher informiert.
Was LDN für mich verbessert hat
Seitdem das LDN bei mir zu wirken begonnen hat, geht es mir wesentlich besser mit dem Post-Covid-Syndrom. Die Krankheitslast hat sich spürbar verringert. Mein Hauptsymptom ist PEM (Post-Exertional Malaise), diese ging deutlich zurück, mit nach wie vor vorhandenen Schwankungen in der Intensität. Ich kann mich also wieder mehr körperlich betätigen. Mir fällt es endlich wieder leichter, klar zu denken und mein Gedächtnis funktioniert ebenso besser. Ich kann wieder Sachbücher und -Texte lesen, ohne nach 2 Seiten zu erschöpfen. Mein Schlaf wurde durch LDN wieder erholsamer. Ein angenehmer Nebeneffekt sind die Glückshormone, welche der Körper, während der „blocking period“, also den Stunden der Blockade, die ich im nächsten Absatz beschreibe, ausschüttet. Ich bin dadurch wesentlich entspannter und das wirkt sich wiederum positiv auf das, durch Long-Covid oft dysregulierte, Nervensystem aus.
Ich kann generell wieder mehr erledigen und unternehmen. Die Fatigue ist zwar vorhanden, doch ich bin nun öfter in der Lage, unter Menschen zu gehen, mir Konzerte anzusehen und Texte wie diesen hier zu verfassen, solange ich konsequent genügend Pausen mache. Bei mir schlug LDN gut an und ich habe schon von vielen gehört, dass es ihnen zumindest etwas Erleichterung gebracht hat. Ich brauche nach wie vor strikte Ruhepausen und habe längere Erholungsphasen als gesunde Menschen. Die Crashes sind jedoch eindeutig seltener und weniger intensiv. Meine „Baseline“, also der Bewegungsspielraum, den ich für meine Aktivitäten habe, hat sich deutlich nach oben verschoben und ich habe nicht mehr andauernd Schmerzen. In den ersten Wochen, nachdem die Wirkung einsetzte, bekam ich oft Muskelkater, weil ich aktiver war und nicht ständig liegen musste. Sport ist leider noch immer nicht möglich, Aktivitäten wie ein- bis zweistündige Spaziergänge während der guten Phasen aber durchaus. Ich kann wieder öfter laute Musik hören und ab und zu abends mit Freund:innen zusammensitzen. Das erweitert meine Möglichkeiten ungemein, auch, wenn das Post-Covid Syndrom weiterhin mein Leben bestimmt. Mein Zustand verläuft immer noch wellenförmig, ich erlebe also noch immer vorübergehende Verschlechterungen. Ich muss auch nach wie vor regelmäßig ganze Pacing-Tage einlegen. Der Leidensdruck hat sich aber definitiv verringert und ich kann nun wieder etwas mehr am generellen Geschehen teilhaben, ohne körperliche Folgen zu spüren. Die Symptomlinderung durch LDN hilft mir, doch ich kann nur hoffen, dass in absehbarer Zeit ein Medikament kommt, welches die Ursache der Krankheit tatsächlich heilen kann. Denn schwerwiegend erkrankt bin ich noch immer.
Wie LDN wirkt (soweit ich es verstanden habe)
Naltrexon ist wie gesagt ein Opioidantagonist, also ein Gegenspieler zu Opioiden. Das bedeutet, wenn ich das richtig verstanden habe, es blockiert Opioid-Rezeptoren. Bei einer Niedrigdosierung entsteht ein sogenannter Rebound-Effekt, da die Blockade nur einige Stunden anhält. Dies führt zu einer höheren Produktion von natürlichen schmerzstillenden und stimmungsaufhellenden Substanzen im Körper. Es wird angenommen, dass LDN durch die Modulation des Immunsystems eine entzündungshemmende Wirkung hat und die Produktion spezieller Immunzellen anregt. Auch die Hemmung von TLR4-Rezeptoren, von der man ausgeht, kann bei chronischen Entzündungszuständen hilfreich sein, da dadurch weniger entzündungsfördernde Stoffe freigesetzt werden.
Der individuelle Sweet Spot
Auf die ideale Dosierung arbeitet man sich schrittweise hin: Man beginnt mit einer sehr kleinen Dosis, bei mir waren es 0,25mg. Diese steigert man über Wochen oder Monate hinweg, bis man den eigenen „Sweet-Spot“ erreicht hat. Der Prozess wird deshalb empfohlen, um eine Anreicherung zu vermeiden. Der Sweet-Spot ist die individuelle Dosis, ab dem keine weiteren positiven Effekte, sondern nur noch Nebenwirkungen hinzukommen. Grundsätzlich, wie ihr auch den Ressourcen entnehmen könnt, wird LDN in Dosen zwischen 0,5 und 4,5mg verabreicht. Es kann eine Weile dauern, bis die Wirkung einsetzt – bis zu mehreren Monaten. Bei mir waren es weniger als 14 Tage. In einem Forum las ich, dass manche Ärzt:innen empfehlen, bis zu 18 Monate zu warten, falls sich nicht sofort eine Besserung einstellt. Das erfordert Geduld, besonders wenn man bedenkt, dass die Kosten meist nicht von den Gesundheitskassen übernommen werden. Besprecht dies am besten mit eurer behandelnden Ärzt:in. Ihr könnt zu so einem Gespräch auch den Behandlungsvorschlag von Dr. Stingl mitnehmen, in dem er Studien anführt. Momentan kann LDN nur off-Label, also außerhalb der Zulassung, verschrieben werden.
Meine persönliche Erfahrung
Ich spürte schon nach 10 Tagen mit einer Dosis von 0,25 mg eine deutliche Besserung. Besonders die PEM ging zurück, was mir wieder Welten öffnete, mit denen ich krankheitsbedingt schon abgeschlossen hatte. Ich steigerte die Dosis weiter, was meiner Erfahrung nach einiges an Aufmerksamkeit erfordert. So musste ich nach ein paar Monaten Steigerung beispielsweise wieder um die Hälfte reduzieren. Zum Glück ist das Austesten der Dosis risikofrei, es muss nicht ausgeschlichen werden. Die markanteste Nebenwirkung bei mir sind intensive Träume. Ich hatte sie schon durch Long-Covid, aber LDN trieb das auf ein ganz neues Level. Manche mögen das, für andere ist es eine Last. Für Menschen, bei denen LDN unangenehme Träume auslöst, kann das natürlich eine Herausforderung darstellen. Ich habe in Foren Beiträge gelesen, wo Leute davon schwärmten und es sogar bedauern, wenn diese Nebenwirkung nachlässt. Bitte sprecht ausführlich mit euren behandelnden Ärzt:innen über alles, was euch diesbezüglich beschäftigt. Mittlerweile bemerke ich nur noch drei Tage lang Nebenwirkungen, wenn ich meine Dosis gerade erhöht habe. Ich steigere in 0,25-mg-Schritten, man kann aber auch in 0,5-mg-Schritten hinaufgehen. Mir persönlich war letzteres zu hoch. Bitte nehmt meinen Beitrag nicht als Ratschlag wahr sondern seht ihn als Anregung, euch bei zugelassenen Mediziner:innen näher zu informieren.
LDN stellt keine universelle Lösung für Long-Covid oder ME/CFS Symptome dar und zielt auch nicht auf die Therapie der Grundursache(n) der Erkrankung ab. Nicht jede:r reagiert darauf und die positiven Auswirkungen variieren in ihrer Intensität. Doch ich hätte sehr gerne früher von dieser Option gewusst, denn sie erleichtert mir so vieles. Meine Möglichkeiten innerhalb dieses gesundheitlichen Ausnahmezustandes haben sich dadurch wieder um ein paar Schritte erweitert. Daher stelle ich euch hier den Behandlungsvorschlag von Dr. Stingl zum Download bereit, damit ihr ihn mit euren Ärzt:innen durchgehen könnt, wenn ihr das möchtet.
Links
Ressourcen zu LDN:
Youtube Video: How LDN works
https://www.youtube.com/watch?v=z0p0ykSzy9o
Dr. Michael Stingl Website:
Studien
Younger, J., Parkitny, L., & McLain, D. (2014). „The use of low-dose naltrexone (LDN) as a novel anti-inflammatory treatment for chronic pain.“
https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC3962576/
Toljan, K., & Vrooman, B. (2018). „Low-dose naltrexone (LDN)—Review of therapeutic utilization.“
https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC6313374/esyMein Hauptsymptom,